Am 29. März 2019 sollte Großbritannien im Zuge der Brexit-Abstimmung die Europäische Union verlassen. Zwei Jahre zuvor leitete Theresa May, britische Premierministerin, das Austrittsersuchen Großbritanniens an die EU weiter. Geplant war in dem zweijährigen Übergangszeitraum, die Modalitäten zwischen Großbritannien und der EU zum Austritt zu klären und Abkommen und Vorkehrungen für einen geordneten Brexit zu treffen. In den letzten Tagen und Wochen wurde um Verlängerung des Austrittszeitraums bis Ende Juni 2019 gebeten, was die schwierigen Verhandlungen zum Austritt widerspiegelt. Seitens der anderen europäischen Mitgliedsstaaten stehen die Anzeichen zu einer Fristverlängerung gut, sofern sich das britische Parlament dazu bereit erklärt, die Austrittsforderungen der EU zu akzeptieren. Ob es sich jedoch dazu durchringen kann, bleibt auf Grund der heftigen Gegenwehr zu Eingeständnissen an die EU – wie die letzten Tage und Wochen gezeigt haben – abzuwarten.
Sollte es zu keiner Einigung kommen, steht ein „harter“ Brexit bevor, also ein Austritt Großbritanniens ohne weitere Abkommen oder sonstige Austrittsmodalitäten – das bisher denkbarste „Worst-Case“-Szenario, wie es treffend umschrieben wird. Zwar betonen die anderen Mitgliedsstaaten und Deutschland, auf einen „harten“ Brexit vorbereitet zu sein und Vorkehrungen zu treffen; wie die Folgen genau aussehen, bleibt bisher jedoch offen.
Eine dieser Vorkehrungen wurde Anfang März von Elisabeth Roegele, Vizepräsidentin und Exekutivdirektorin Wertpapier/ Asset Management, in einem Interview zur Thematik „Der Countdown zum Brexit läuft – Die Aufsichtsperspektive“ vorgestellt. Hierbei war die Fragestellung: „Was geschieht mit dem Zugang von Finanzinstituten im Falle eines ‚harten‘ Brexits?“ In Großbritannien ansässige Finanzinstitute verlieren im Fall eines „harten“ Brexits alle Privilegien und Rechte eines vollwertigen EU- Mitgliedstaats. Dies wirkt sich auch auf den Europäischen Pass und die damit einhergehenden Rechte aus (sog. „passporting rights“).
Was sind die sogenannten „passporting rights“?
Die Europäische Union ist auf vier Grundfreiheiten gegründet: den freien Personenverkehr, freien Warenverkehr, freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapital- und Zahlungsverkehr – welche die Handlungsfreiheiten der am Wirtschaftsverkehr beteiligten Unternehmen mit Sitz innerhalb eines EU Mitgliedsstaates darstellen. Auf dieser Grundlage wird in der EU ansässigen Unternehmen der Zugang zu den europäischen Finanzmärkten gewährt.
Was bedeutet der Verlust der „passporting rights“ für Finanzinstitute?
Unternehmen mit Sitz innerhalb der Europäischen Union müssen gewisse Vorgaben erfüllen, um Zugang zu den Finanzmärkten zu erhalten. Diese Vorgaben finden sich in der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 wieder. Sie zielen durch Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen für Finanzmarktteilnehmer auf die Regulierung und Vereinheitlichung von Voraussetzungen für den Zugang der Finanzmärkte innerhalb der Union ab.
Ergänzt wurden diese Regelungen durch die Anforderungen aus den MiFID-II-/MiFIR- Verordnungen, die nationale Vorschriften zur Abwicklung von Finanzdienstleistungen um Regelungen zum Anlegerschutz und zur Transparenz und Eigenständigkeit von Finanzdienstleistern erweitern. Sie dienen zur Harmonisierung der Funktionsweisen und Transparenz der Finanzmärkte und bilden die europäischen Finanzrichtlinien mit Fokus auf:
- Steigerung des Wettbewerbs durch Schaffung gleicher Wettbewerbsvoraussetzungen
- Verbesserung des Anlegerschutzes durch Erweiterung nationaler Behörden
- Effizienzsteigerung der Märkte
Auf Grundlage dieser Richtlinien haben alle europäischen Finanzinstitute das Recht, im EU-Binnenmarkt Finanzdienstleistungen zu erbringen. Ein „harter“ Brexit würde Unternehmen aus Großbritannien nicht mehr unter den Geltungsbereich dieser Gesetzgebung stellen, wodurch sie den Status eines Unternehmens aus einem Drittland erhielten.
Mögliche Lösungsstrategien für Finanzdienstleister
Der „harte“ Brexit und der damit einhergehende Verlust der „passporting rights“ beschäftigt derzeit ebenfalls die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFiN). Auch dort hat man das Problem erkannt und bereitet sich auf das „Worst-Case“-Szenario vor. In einem Interview der Vizepräsidentin und Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele teilte sie mit, dass der bisherig einzig sichere Weg für Finanzinstitute eine Standortverschiebung in einen EU- Mitgliedstaat sei, um weiterhin Zugang zum Finanzmarkt der Union zu erhalten.
„Mit dem Austritt aus der EU entfällt für britische Banken, Versicherungen und Wertpapierdienstleister die Möglichkeit, Dienstleistungen in der EU27 auf Basis des Europäischen Passes – einem zentralen Baustein des europäischen Finanzmarktes – zu erbringen“, so Roegele wörtlich.
(Das ganze Interview zur Thematik: „Der Countdown zum Brexit läuft – Die Aufsichtsperspektive“ mit Elisabeth Roegele finden Sie unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Reden/re_190308_12Finanzplatztag_edin_wa.html).
Jedoch führt eine Standortverschiebung nicht nur zu logistischen Herausforderungen, sondern es müssen auch regulatorische Anforderungen beachtet werden. So muss sichergestellt sein, dass es sich bei dem neuen Standort nicht um „Briefkastenfirmen“ handelt, sondern dass über den neuen Standort auch die zentralen Geschäfte innerhalb des Europäischen Finanzmarktes getätigt werden.
Einen weiteren möglichen Lösungsansatz sieht das Brexit-Steuerbegleitgesetz vor, dass es Unternehmen mit Sitz in Großbritannien in einem Übergangszeitraum von bis zu 21 Monaten erlaubt, die Vorzüge des Europäischen Passes zu genießen. Die Vergabe einer solchen Erlaubnis und vor allem die Dauer der Vergabe liegt im Ermessen der BaFIN.
Weitere Entwicklung des Brexits
Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, wie es in den Austrittsverhandlungen Großbritanniens weitergehen wird, der Ausgang bleibt jedenfalls spannend. Aufgrund der Aktualität der Thematik wird dieser Artikel an die Entwicklung zu den Brexit-Verhandlungen angepasst werden. Deshalb können Teile des Artikels oder der ganze Artikel beim Lesen nicht mehr zeitgemäß und zutreffend sein.
Sollten Sie Fragen oder Anregungen zu diesem Artikel oder Voraussetzungen für den Zugang zum europäischen Finanzmarkt von Finanzinstituten oder Finanzdienstleistern im Allgemeinen haben, sowie weiteren Themenbereichen, welche im Artikel angeschnitten wurden, stehen meine Kollegen und ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.